In unserer Gemeinde, aber auch in nahestehenden Werken wie etwa Schloss Klaus, dürfen wir Zeugen sein, wie in den vergangenen Jahren vieles gewachsen ist: Neue Arbeitszweige, erfolgreich abgeschlossene Bauprojekte, viele ermutigende Begegnungen und Erlebnisse mit Menschen, die erstmals oder wieder ganz neu auf Jesus Christus aufmerksam gemacht wurden und sich auf ihn eingelassen haben. Das ist großartig und gibt uns jede Menge Gelegenheiten, Gott dafür zu danken und ihn zu loben.
Der Blick nach innen schaut manchmal etwas anders aus: Neue Projekte und Arbeitszweige wurden nicht einfach begonnen, sondern es war jedes Mal ein Ringen um die richtige Entscheidung, immer die Frage nach dem, was von Gott her dran ist. Und während vieles von außen spannend und motivierend erlebt wird, fühlt sich neue, zusätzliche Arbeit für die beteiligten Personen nicht immer wie ein Segen an. Es scheint manchmal, dass immer mehr Last auf die gleichen Schultern drückt.
Ja, es ist ein Segen, über Projekte und Arbeitszweige an vorderster Front in Gottes Arbeit mit eingebunden zu sein. Aber es kostet etwas. Und im Alltag fühlt sich dieser zusätzliche Aufwand nicht für jeden wie ein Segen an. Und da kann sich schon mal die leise Frage rühren: Kann das wirklich von Gott sein? Oder haben wir etwas falsch verstanden? Denn wenn Gott segnet, müssten sich die Dinge ja ineinander fügen, Gott müsste den Weg bereiten und die Last tragen.
Bei einer christlichen Konferenz zum Thema Leiterschaft bin ich unerwartet über einen Bibeltext gestoßen, der für mich persönlich diese gerade angesprochene Spannung richtiggehend aufgelöst hat – die Spannung zwischen Segen uns Last!
In 5. Mose 1,9-10 berichtet Mose: „Da sprach ich zur selben Zeit zu euch: Ich kann euch nicht allein tragen. Der HERR, euer Gott, hat euch so zahlreich werden lassen, dass ihr heute seid wie die Menge der Sterne am Himmel.“ Mose berichtet rückblickend, wie er zwischenzeitlich fast an der Führungsverantwortung für das große Volk zerbrochen ist.
Aber ausgerechnet die Größe des Volkes ist ganz eindeutig die Erfüllung einer Verheißung – eines Segens, der Abraham und seinen Nachkommen zugesagt ist: „Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen?“, spricht Gott zu Abraham. „So zahlreich sollen deine Nachkommen sein!“ (1. Mose 15,5). Mose erlebt die Erfüllung dieser Verheißung – und er leidet unter der Last des Segens.
Dieser Gedanken hat er mich nicht mehr losgelassen und mir ist bewusst geworden, dass sich der Zusammenhang zwischen Segen und Last wie ein Prinzip durch die Bibel zieht, und auch durch mein Leben. Was bedeutet das konkret?
1. Gott ist ein segnender Gott
Von Anfang an begegnet uns Gott in der Bibel als ein segnender, beschenkender Gott. Wo auch immer wir in der Bibel von Segen lesen, schwingt dabei Gottes Herrlichkeit mit, und gleichzeitig auch die Beziehung zu ihm. Segen bedeutet: Gott legt von seiner Herrlichkeit auf den Menschen. Es gibt keine Segensautomatik. Es gibt auch keine Segensgarantie. Segen ist etwas sehr umfassendes. Segen ist nicht an Dingen festzumachen, sondern ergibt sich viel mehr aus unserer Beziehung zu Gott, durch die vieles im Leben – sogar und gerade auch Schwierigkeiten und Herausforderungen – mir zum Segen werden darf.
Aber dann kommt die zweite Seite der Medaille ins Spiel: Nicht selten entpuppt sich Segen als anstrengend, ja bis hin zu einer gefühlten oder tatsächlichen Überforderung.
2. Wenn der Segen zur Last wird
Segen dient nämlich nicht (nur) dem Selbstzweck, sondern bringt ganz oft eine neue Verantwortung und somit auch Arbeit mit sich. Segen ist nicht zu verwechseln mit Wellness. Die biblischen Beispiele dazu sind zahlreich: Kinder sind ein Geschenk (Ps. 127,3) – aber alle Eltern wissen, wie fordernd die Aufgabe als Eltern sein kann. Wer durch materielle Reichtümer gesegnet ist, hat damit gleichzeitig viel Verantwortung (z.B. Lk. 12,48). Diese Liste lässt sich erweitern.
Natürlich kann und darf mir Segen gut tun, ich darf ihn auch für mich genießen. Aber die Bibel spricht vielmehr von der Selbstverständlichkeit, dass Segen weitergegeben wird und andere daran teilhaben können. Es ist gut und auch befreiend, wenn wir uns bewusst sein können, dass wir selber am meisten beschenkt sind, wo wir andere an dem Segen teilhaben lassen! Geteilter Segen ist doppelter Segen. Oder eigentlich noch viel mehr, ein vielfacher Segen!
Aber was sollen wir tun, wenn die Last, die mit dem Segen einhergeht, zu groß für uns wird, wir uns überfordert fühlen? Diese Spannung führt uns zum dritten Gedanken:
3. Gott macht den Weg frei
In 5. Mose 1,11-13 lesen wir in wenigen Worten, dass sich Mose mit seiner Last versöhnt hat, und wie er einen Weg gefunden hat, damit umzugehen. Was hier nur skizziert wird, wird uns in 2. Mose 18 im Detail berichtet: Sein Schwiegervater Jitro kommt zu Besuch und entpuppt sich als perfekter Coach. Diese Begegnung ändert alles für Mose. Aus der bisherigen Überforderung, aus der er selber keinen Ausweg mehr gesehen hatte, öffnet sich plötzlich eine Möglichkeit, um mit der Last des Segens umzugehen, um sie zu bewältigen. Was ist passiert? Eigentlich nichts spektakuläres, sondern 3 ganz praktische, fast unbedeutend wirkende Dinge:
- Hilfe von außen: Mose steckt so tief drinnen in seinem Alltag, dass er die Perspektive verliert. Jitros nüchterner Blick von außen bringt Mose eine neue, befreiende Perspektive nahe. Auch wir brauchen solche Jitros in unserem Leben: Menschen, die uns wohlgesonnen sind und von denen wir Rat annehmen können.
- Nicht so weitermachen wie bisher: Wie ist Mose in seine Schwierigkeiten gekommen? Indem er weitergemacht hat wie bisher, und sein Verhalten nicht an die neuen Gegebenheiten angepasst hat. Das Grundproblem ist also meistens nicht die Fülle an Aufgaben, sondern dass wir weitermachen wie bisher und die Perspektive verlieren, wie wir damit umgehen können. Was ist denn die eigentliche Last? Nicht der Segen selber, sondern unsere Unfähigkeit, dem Segen gerecht werden zu können.
- Ein Schritt nach dem anderen: Was macht Mose? Er macht einen Schritt nach dem anderen, wählt Leute aus, denen er Verantwortung delegieren kann, teilt das Volk in überschaubare Organisationseinheiten ein usw. Jeder dieser Schritte für sich bringt noch keine Lösung, aber die Summe der Schritte verändert alles. Wenn uns ein riesengroß scheinendes Problem regelrecht lähmt, dürfen wir unseren Blick einfach auf den nächsten Schritt lenken. Und einen Schritt tun, danach den nächsten. In der Bergpredigt in Mt. 6,34 sagt Jesus: „Macht euch keine Sorgen um den nächsten Tag! Der nächste Tag wird für sich selbst sorgen. Es genügt, dass jeder Tag seine eigene Last mit sich bringt.“ (NGÜ). Das ist eigentlich genau dieses Prinzip: Heute kann ich einen Schritt machen und brauche mich nicht von den Sorgen von morgen lähmen lassen.
Wo auch immer wir den Eindruck haben, dass Segen anstrengend ist, zu einer Last wird die uns überfordert, dürfen wir mit der Gewissheit zu Gott kommen und mit seiner Kraft rechnen. Wie befreiend und ermutigend!